Quelle: Wiesbadener Kurier, Rolf Lehmann
Barren, Balken, Beethoven
Trotz aller notwendigen Disziplin darf auch bei Gwendolyn Lenz der Spaß nicht zu kurz kommen
Ich kann, weil ich will, was ich muss“, wird der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724 -1804) auf der Homepage der Kunstturner der Wiesbadener Eintracht zitiert. Dass sie wollen , ist den jungen Nachwuchsturnerinnen, die da in der Turnhalle der Martin-Niemöller-Schule ebenso graziös wie zielstrebig und diszipliniert ihre Übungen absolvieren, nicht nur anzusehen. Es ist förmlich zu spüren, mit welch einer Begeisterung sie bei der Sache sind. Und dass sie es können, haben die Schützlinge von Cheftrainerin Monika Heinisch-Göbel längst unter Beweis gestellt. Zuletzt bei den hessischen Geräte-Einzelmeisterschaften in Baunatal, wo das Wiesbadener Sextett nicht weniger als elf Medaillen abräumte.
Eine der Hoffnungsträgerinnen dabei: Gwendolyn Lenz, die sich in ihrer Altersklasse die Titel am Boden und Schwebebalken sicherte. Dabei zählt gerade der Schwebebalken nicht eben zu den Lieblingsgeräten der Achtjährigen. „Das kann schon sehr weh tun, wenn du da runterfällst“, weiß die Drittklässlerin der Robert-Schumann-Schule, die seit drei Jahren der Gruppe angehört, aus leidiger Erfahrung. Wirkliche Angst vor dem „Zitterbalken“ aber hat sie deswegen keine. Betont selbstbewusst tritt die zweifache Landesmeisterin auf, absolviert geradezu spielerisch die geforderten Schnellkraftübungen wie den gespreizten Flick-Flack am Boden oder den Sprung mit Salto rückwärts auf die Matte. „Das Fliegen ist es, was dabei so Spaß macht“, sagt Gwendolyn mit einem einnehmenden Strahlen auf dem Gesicht.
Ergebnis harter Arbeit
Was dabei so leicht aussieht, ist jedoch das Ergebnis harter und konzentrierter Arbeit. Zu den drei Einheiten in der Niemöller-Sporthalle kommen wöchentlich zwei weitere in Ingelheim und im hessischen Landesleistungszentrum in Heusenstamm hinzu. Insgesamt 15 Stunden, die teils aufwendigen Anreisen nicht mitgerechnet. Ob da noch Zeit für andere Hobbys bleibe, wird Gwendolyn gefragt. „Doch schon“, sagt die Achtjährige, die bereits ihren Platz im hessischen Landeskader für 2015 sicher hat und vom Auftreten her sehr reif für ihr Alter wirkt: „Dabei bleibt durchaus noch Zeit, um sich mit Freunden zu treffen oder Klavier zu spielen.“
Viele der Kinder seien musisch begabt, sagt B-Lizenz-Inhaberin Monika Heinisch-Göbel und sieht gerade das Spielen eines Instrumentes als perfekte Ergänzung an. Zumindest so lange, wie das Turnen uneingeschränkt an erster Stelle steht. Ganz oder gar nicht, heißt die Devise, was schon bei den Jüngsten viel Disziplin voraussetzt. „Die Kinder lernen schnell, zielorientiert zu arbeiten, auch in der Schule“, betont die Trainerin, und das ohne jeden Zwang aus dem Elternhaus: „Allein mit Druck wären diese Leistungen überhaupt nicht möglich.“
Die achtjährige Gwendolyn weiß derweil bei allem Spaß ganz genau, was sie will und wohin der doch erhebliche Aufwand eines Tages führen soll: „Zu den Olympischen Spielen.“ An diesem Punkt bremst Monika Heinisch-Göbel allerdings ein wenig die möglicherweise allzu hohen Erwartungen und gibt – als „Zwischenziel“ mit zwölf Jahren – erst einmal die Qualifikation zu den Deutschen Meisterschaften aus. Bis dahin hofft die Trainerin zunächst einmal, dass ihre Hoffnungsträgerinnen buchstäblich bei der Stange bleiben. „Kunstturnen ist die perfekte Grundlage für alle anderen Sportarten“, weiß die Trainerin nur zu gut und muss nicht nur die Konkurrenz eines gewissen Herrn Beethoven fürchten.